Wissenswertes zur neuen Entsenderegelung für Transportunternehmen
Ein Gastbeitrag von Rechtsanwältin Celina Werbinsky
Ab dem 2. Februar 2022 gelten für die Entsendung von Kraftfahrern in der EU neue, einheitliche Vorschriften. Ziel ist es, die Sozial- und Arbeitsbedingungen für Kraftfahrer zu verbessern. Darüber hinaus sollen Rechtsunsicherheiten entschärft werden, um einen fairen Wettbewerb für in- und ausländische Unternehmen zu ermöglichen.
Im folgenden Interview erklärt Celina Werbinsky, Fachanwältin für Transport- und Speditionsrecht, welche Neuerungen auf Transportunternehmen zukommen und was Sie dabei beachten müssen.
Sind die neuen Entsendevorschriften zur Beförderung im EU-Ausland klar? Dann legen Sie los und finden Sie europaweit profitable Transportaufträge.
Wer ist von der Entsenderichtlinie zur Beförderung im EU-Ausland betroffen?
TIMOCOM: Frau Werbinsky, lassen Sie uns zunächst einmal klären, wer von der so genannten Entsenderichtlinie betroffen ist.
Celina Werbinsky: Nach Artikel 2 der Richtlinie gilt jeder Arbeitnehmer als „entsendet“, der während eines begrenzten Zeitraumes seine Arbeitsleistung in einem anderen EU-Land erbringt, als er normalerweise arbeitet. Kraftfahrer sind hiervon also stark betroffen.
TIMOCOM: Nun gibt es die Bestimmungen schon seit 25 Jahren. Was konkret verlangen oder standardisieren diese?
Celina Werbinsky: Wer Arbeitnehmer in ein anderes Land schickt, muss sicherstellen, dass diese die gesetzlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Gastlandes einhalten. Das betrifft zum Beispiel Lenk- und Ruhezeiten, Mindestlohn- und Überstundensätze, die Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz, die Gleichbehandlung von Männern und Frauen und viele weitere, teils sehr individuelle Gesetze.
Was ändert sich konkret bei den Entsendevorschriften?
TIMOCOM: Nun gab es im letzten Jahr bereits einige Neuerungen und Veränderungen. Was genau wurde in der Fassung korrigiert?
Celina Werbinsky: Das EU-Parlament und der Europäische Rat haben die Änderungen der Entsendevorschriften (Richtlinie 2018/957 EU) bereits 2018 beschlossen. In Kraft sind diese nun seit dem 30. Juli 2020. Danach gilt „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“. Auch die tariflich festgelegten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen fallen hierunter. Arbeitnehmer können trotz der vorübergehenden Tätigkeit in einem anderen EU-Land im eigenen Sozialversicherungssystem versichert bleiben.
Voraussetzung ist, die Behörden des Gastlandes im Voraus zu informieren und das so genannte A1- Dokument auszufüllen, das die Sozialversicherung im Herkunftsland bestätigt. Dieses ist auf der Website der EU zur Entsendung von Arbeitnehmern ins Ausland zu finden. Im Gastland müssen dann keine Beiträge gezahlt werden. Wichtig zu beachten ist dabei, dass alle EU-Mitgliedsstaaten Verwaltungsanforderungen und Kontrollmaßnahmen bestimmen können, die zur Durchsetzung der Entsenderichtlinie erforderlich sind. Das heißt, dass sie beispielsweise von Unternehmen verlangen können, die Entsendung unter Angabe des Namens des Arbeitnehmers sowie Beginn und Ende der Entsendung anzumelden, lohnbezogene Dokumente vorzulegen und Ansprechpartner für die Behörden im Inland zu benennen.
Laden Sie sich hier die Checkliste zu den Pflichtangaben der Entsenderichtlinie herunter:
Checkliste Entsendevorschriften
Gibt es länderspezifische Unterschiede der neuen Entsenderichtlinie?
TIMOCOM: Sind diese Verwaltungsanforderungen und Maßnahmen in allen EU-Ländern identisch?
Celina Werbinsky: Nein, einzelne Länder haben unterschiedliche Maßnahmen definiert und auch die Einreichung der Unterlagen ist nicht immer gleich, obwohl viele Länder mittlerweile elektronische Systeme zu Erfassung bereitgestellt haben. Einen Überblick über die in den einzelnen Mitgliedstaaten eingesetzten Maßnahmen findet man auf der Website des Europäischen Parlaments.
TIMOCOM: Betrifft die Entsenderichtlinie auch Kraftfahrer? Das ist ein großer administrativer Aufwand für Arbeitnehmer, die teilweise mehrere Länder an nur einem Tag bereisen.
Celina Werbinsky: Ja, grundsätzlich gilt sie auch für Kraftfahrer. Uneinigkeit bestand bisher allerdings darüber, inwiefern die Entsenderichtlinie auf Kraftfahrer anwendbar ist, die grenzüberschreitende Beförderungen, Drittlandgeschäfte, Kabotage oder Transitfahrten durchführen. Das hat man mit der neuen Richtlinie 2020/1057 EU nun korrigiert. Ab dem 2. Februar 2022 wird der reine Transit, das heißt der Transport von Waren durch einen anderen Mitgliedstaat ohne dortige Be- und Entladung, sowie bilaterale Beförderungen von den Entsendevorschriften ausgenommen. Das sind Frachten, die von einem in nur ein anderes Land befördert werden. Kabotage-Beförderungen, das heißt der Transport von Waren innerhalb eines Landes durch ein Transportunternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat, unterliegen jedoch in vollem Umfang den Entsendebestimmungen. Die jeweiligen Mindestlohn- und Sozialbestimmungen des Gastlandes müssen also beispielsweise eingehalten werden.
TIMOCOM: Gibt es weitere Änderungen, die für Transportunternehmen wichtig sind?
Celina Werbinsky: Eine wesentliche Änderung betrifft die 231 Verwaltungsanforderungen und Kontrollmaßnahmen. Diese sind nun vereinheitlicht worden. Den Mitgliedstaaten ist nur noch gestattet, den Verkehrsunternehmen die in der Richtlinie 2020/1057 EU aufgeführten Verwaltungs- und Kontrollanforderungen aufzuerlegen, die an den Straßenverkehrssektor angepasst sind. Ab nächstem Jahr wird es ein mehrsprachiges Standardformular der öffentlichen Schnittstelle des Binnenmarkt-Informationssystems (IMI) geben, welches ausgefüllt werden muss. Im Übrigen wird die neue Richtlinie am gleichen Tag in Kraft treten, ab dem alle Fahrer von Fahrzeugen, die mit einem digitalen Fahrtenschreiber ausgestattet sind, jeden Grenzübertritt dokumentieren müssen (Art. 34 VO (EU) Nr. 165/2014 neu).
TIMOCOM: Vielen Dank, Frau Werbinsky, für das informative Gespräch!
Sind die neuen Entsenderegelungen klar? Dann legen Sie los und finden Sie europaweit profitable Transportaufträge.
Zur Person
Rechtsanwältin Celina Werbinsky ist Fachanwältin für Transport- und Speditionsrecht. Sie ist unter anderem juristische Beraterin des Compliance Management Systems von Fumo Solutions und des Internet-Reiseblogs urlaubsguru.de.
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