Transportmarkt 03.09.2020
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Zukunftstechnologien für die Logistik: Vision und Wirklichkeit vom autonomen Fahren

Autonome PKW, Transporter und LKW bewegen sich im Straßenverkehr.

Autonomes Fahren rückt auch für den Güterverkehr in greifbare Nähe. Zwar gibt es noch rechtliche, ethische und technische Hürden für Hersteller, doch die Entwicklungen laufen weiter. Dabei zeigt sich: Die Automatisierung des Güterverkehrs ist keine Aufgabe, die ein Unternehmen allein stemmen kann. In diesem Blogartikel geben wir einen Einblick in den aktuellen Stand der Technik und welche Prognosen für die Zukunft interessant sein könnten.

Die Digitalisierung kann als Werkzeug einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Logistik leisten. In den letzten Jahren entstand eine Vielzahl an technischen Entwicklungen – und es werden weitere folgen. Welche dieser Technologien wird das Potenzial haben, um Unternehmen für die Zukunft besser aufzustellen? Wie ist der aktuelle Stand der Entwicklung in der Logistik und wo werden diese Zukunftstechnologien in der Praxis eingesetzt? Diesen Fragen gehen wir in der TIMOCOM Blog-Serie „Zukunftstechnologien für die Logistik“ nach. Im ersten Artikel haben wir erklärt, warum es nicht jede Zukunftstechnologie unmittelbar zur Marktreife schafft, anhand von zwei Beispielen: Blockchain und Platooning. In diesem Artikel widmen wir uns den Entwicklungen der Fahrzeughersteller zu autonom fahrenden LKW.

Die Entwicklung der Automatisierung ist hochkomplex und herausfordernd. Sie erfordert weitreichendes Wissen über automatisiertes Fahren und digitale Systeme, die einen umfangreichen Datenaustausch zwischen allen Beteiligten erst möglich machen. Ausführliche Tests und kontinuierliche Weiterentwicklung sind notwendig, um diese Technologie zur Marktreife zu bringen. Weit vorne bei der Entwicklung sind die Branchen-OEMs. Die Abkürzung steht für Englisch Original Equipment Manufacturer und meint einen Hersteller von Erstausrüstung. Der Begriff wird in der Logistik synonym mit einem Nutzfahrzeughersteller verwendet. Diese Hersteller erkannten durch Forschungsprojekte und Tests, dass die Schritte zur Erforschung und Verbesserung erster automatisierter Modelle sehr aufwendig sind.

Am Anfang steht eine Vision

Der Wandel der Supply Chain birgt massives Einsparungspotenzial im kommenden Jahrzehnt –­­ das ist die Prognose einer Studie der Beraterfirma PricewaterhouseCoopers, kurz PwC, aus dem Jahr 2018. Gemeint ist eine Vision vom Trucking 4.0, in der die OEMs autonome LKW herstellen, die wiederum durch ein sogenanntes „Mobility as a Service“-System gesteuert und organisiert werden.

PwC schätzt laut Studie, dass sich die Logistikbranche innerhalb weniger Jahre zu einem Ökosystem autonomer LKW und Roboter wandeln könnte, koordiniert durch eine vollständig digitalisierte Supply Chain. In der Lieferkette sendet schon das Produkt ein Signal an eine Matching-Plattform und meldet damit frühzeitig Transportbedarf. Fertiggestellt und codiert mit den Daten zu Entladeort und relevanten Transportinformationen, wird das Produkt an einen verfügbaren und passenden LKW übergeben. Am Entladeort wird es von Robotern aus dem LKW in das Zentral- oder Zwischenlager transportiert, wo es dann auf der letzten Meile von Elektrotrucks zum Kunden gebracht wird. Diese Vision der End-to-End-Supply Chain soll bis zu 47 Prozent Kosten sparen. Weiterhin könnten Ausgaben durch moderne Antriebstechniken wie Hybrid- oder Elektromotoren sowie Gasantrieb eingespart werden. Die LKW-Nutzauslastung könnte verbessert werden.

Auch wenn laut Studie der volle Nutzen der digitalisierten, automatisierten Supply Chain erst 2030 greifen soll, erklärt er das starke Interesse mancher Unternehmen an der Weiterentwicklung selbstfahrender Nutzfahrzeuge. Doch sollte autonomes Fahren zunächst genauer definiert werden.

Verschiedene Stufen der Automatisierung

Rechtliche und ethische Unklarheiten beschäftigen Hersteller, Politik und Gesellschaft. Dazu zählen Fragen der Fahrsicherheit oder der Verantwortung im Falle eines Unfalls. Welche Entscheidung soll ein selbstfahrendes Fahrzeug treffen, wenn ein Unfall nicht mehr zu vermeiden ist? Für diese Dilemmasituation wurde in Deutschland eine Ethik-Kommission eingesetzt, die dazu Leitlinien entwickelte. Diese sollen richtungsgebend für die Politik sein, sind aber eher als Entscheidungshilfen zu sehen. Sie beantworten nicht alle Fragen (vollständig), was auch ausgesprochen schwierig ist, wenn es um tiefgreifende, ethische Entscheidungen geht. Dies wird eine Aufgabe sein, die Unternehmen, Politik und Gesellschaft nur gemeinsam umsetzen können. Weiter ist zu erörtern, welche Folgen für Fahrerberufe auftreten könnten und welche gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen sich daraus ergeben. All dies muss zeitgleich mit dem technischen Fortschritt behandelt werden.

Wenn von Automatisierung die Rede ist, muss zwischen sechs Entwicklungsstufen unterschieden werden. In Europa und den USA gibt es aktuell drei Stufen des autonomen Fahrens, die rechtlich erlaubt sind. Stufe 2 ist technisch bereits möglich, allein die europaweite Zulassung fehlt. Dies sind die Stufen 0 bis 2. 

  1. Der Fahrer fährt selbst
  2. Es gibt eine Fahrassistenz
  3. Teil-Automation (beim Einparken, Spur halten oder Abbremsen)
  4. Bedingte Automatisierung (beim Ausführen des Blinkers und Spurwechsel)
  5. Hohe Automatisierung (die Führung des Fahrzeugs wird in weiten Teilen vom System übernommen)
  6. Vollautomatisierung (ein System oder ein Programm steuert das Fahrzeug eigenständig)

Das in der Studie genannte Szenario einer vollständig digitalisierten und in weiten Teilen automatisierten Supply Chain würde die Logistikbranche grundlegend verändern. Ob sich bis 2030 eine Evolution oder gar Revolution der Logistik ereignen wird, ist schwer vorherzusagen. Für die von PwC genannte Prognose müssten innerhalb der nächsten zehn Jahre die letzten drei Entwicklungsstufen bis zu Vollautomatisierung vollendet sein. Das würde bedeuten, dass bisherige technische und rechtliche Hürden überwunden wurden und sich die notwendige gesellschaftliche Akzeptanz entwickelt hat.

Damit diese Vision Wirklichkeit werden kann, müssen alle an der Umsetzung Beteiligten berücksichtigt werden. Diese sind der Faktor Mensch, die Öffentliche Hand als Verkehrsinfrastrukturgeber, der Netzbetreiber als Partner der Kommunikationsinfrastruktur sowie der Staat als rechtliche und regulierende Instanz. Erst, wenn alle diese Träger zusammenarbeiten, kann ein zukunftsfähiges Modell des autonomen Fahrens entstehen. Die Einführung selbstfahrender Fahrzeuge in den europäischen Straßenverkehr steht und fällt aber mit der technischen Entwicklung entsprechender Fahrzeuge. Werfen wir also einen Blick auf den aktuellen Stand der Technik.

Aktuelle Entwicklungen der OEMs

Daimler hat zu Testzwecken einen autonom fahrenden LKW entwickelt, den Mercedes-Benz Future Truck 2025. Dazu wurde 2019 ein Mehrheitsanteil von Torc Robotics erworben. Das Unternehmen ist Pionier im autonomen Fahren und liefert Daimler das Robotik-Know-how, das es für die Umsetzung des autonomen LKWs brauchte.

In dem neuartigen LKW-Modell sind die Vorteile zugelassener Assistenz- und Telematiksysteme zu einem intelligenten Transportmanagementsystems vereint. Das Unternehmen steuert damit Automatisierungsstufe 4 an und entwickelt parallel den Ausbau der On-Board-Technik weiter. Zusammen mit dem Hersteller NVIDIA sollen bis 2024 alle Mercedes-Benz-Fahrzeuge mit update-fähigen, automatisierten Fahrfunktionen ausgerüstet sein. Ziel ist es, durch eine moderne Rechnerarchitektur regelmäßige Updates wie Sicherheitsanwendungen durchzuführen.

Der Fahrzeughersteller MAN testet in den kommenden Jahren zusammen mit der Hamburger Hafen Logistik AG autonome LKW. Ein Kooperationsvertrag ist bereits unterzeichnet. Als Testgelände wird der Container Terminal Altenwerder auf dem Hamburger Hafen genutzt. Zusätzlich soll ein Teilstück der Autobahn A7 als 70 km langes Testgelände fungieren.

Ein weiteres Projekt zum automatisierten Containerumschlag in Kombination mit einem automatisierten LKW erforschen seit Juli 2020 der Fahrzeughersteller MAN, die Deutsche Bahn, die Hochschule Fresenius und die Götting KG. Die MAN stellt dazu einen autonom fahrenden LKW bereit, der eine Schnittstelle der Götting KG enthält. Diese erlaubt den Datenaustausch, der erst die Ortung und Hinderniserkennung des LKW ermöglicht. Inwiefern Mensch und Maschine interagieren, überprüft die Hochschule Fresenius. Sie überträgt deren Verhaltensweisen in digitale Prozesse, um eine Kommunikation zwischen LKW, Terminal und Containerdepot zu ermöglichen. Zeigt der Test positive Ergebnisse, wäre dies ein weiterer Schritt zur Automatisierung des kombinierten Verkehrs.

Der Fahrzeughersteller Scania hat AXL, einen autonom fahrenden LKW ohne Fahrerhaus, vorgestellt. Gedacht ist das Konzept für den Einsatz auf Großbaustellen, im Tagebau oder in Minen. Der selbstfahrende Schwerlast-LKW könnte regelmäßige Routen abfahren, um zum Beispiel Schüttgut zu transportieren.

Weitere Entwicklungen notwendig

Auch wenn die von PwC gezeichnete Vision vom Trucking 4.0 bis 2030 wahrscheinlich nicht standardmäßig zu realisieren ist, enthält sie doch einen möglichen Ausblick auf die Zukunft.  Selbstfahrende LKW sind keine Science-Fiction, sondern werden mittel- bis langfristig flächendeckend im Verkehr eingesetzt werden.

Die Voraussetzung ist, dass die Entwicklung der Automation weiter vorangetrieben wird – nicht nur auf technischer Ebene. Es bedarf weitreichender gesellschaftlicher Akzeptanz, umfassende juristische und politische Grundlagen sowie fortschrittliche Unternehmen, die in diese Zukunftstechnologie stetig weiter investieren.

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