Logistikwissen 03.12.2020
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Wie wichtig ist das digitale Netzwerk für die Zukunft der Logistik?

Interview mit Lina Harispuru, Senior Scientist beim Fraunhofer IIS

Lina Harispuru ist Senior Scientist in der Abteilung Analytics bei der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services

Auch wenn die Digitalisierung weiter zunimmt: Transportprozesse laufen zum großen Teil immer noch ineffizient ab. Mangelnde Transparenz und Kooperation zwischen den Beteiligten sind dabei zwei wichtige Faktoren. Durch ihre Forschungsarbeit treibt Lina Harispuru, Senior Scientist bei der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services, die Vision der Transportlogistik 4.0 voran. Was hierzu nötig ist und wie weit wir von diesem Ziel entfernt sind, erklärt Sie im folgenden Interview.

TIMOCOM: Frau Harispuru, Sie beschäftigen sich seit neun Jahren mit Transportlogistik und Kombiniertem Verkehr. Was umfasst Ihr Forschungsfeld?

Lina Harispuru: Bei der Fraunhofer-Arbeitsgruppe SCS steht die digitale Transformation im Supply Chain Management im Vordergrund. In diesem Kontext beschäftige ich mich verstärkt mit Künstlicher Intelligenz (KI) und der Generierung von Wissen aus Daten im Forschungsschwerpunkt Transportlogistik und Kombinierter Verkehr – und also dessen Digitalisierung.

 

TIMOCOM: Sie stellen die These auf, dass der überbetriebliche Transport in finanzieller und zeitlicher Hinsicht ineffizient sei. Was genau ist mit dem überbetrieblichen Transport gemeint? Warum ist er ineffizient und wie kann dies besser gelöst werden?

Lina Harispuru: Unter dem überbetrieblichen Transport verstehen wir den Transport zwischen Unternehmen als Pendant zum intralogistischen Transport. Aufgrund von Informations-Asymmetrien durch mangelnde Transparenz oder Kooperation zwischen verladenden Unternehmen auf der einen Seite und Dienstleistern auf der anderen Seite laufen diese überbetrieblichen Transportprozesse meist noch recht ineffizient ab. Wenn diese Informations-Asymmetrien abgebaut würden, könnten die Transportdaten zielgerichteter verwendet werden, um die Transportprozesse schneller und kostengünstiger zu gestalten. Hierbei spielt die Datengewinnung und -nutzung eine relevante Rolle.

 

TIMOCOM: Sie wollen damit sagen, dass die Datenlage für Transportprozesse noch nicht ausreicht? Was müsste passieren, damit wir von Transportlogistik 4.0 sprechen können und wie genau definieren Sie den Begriff?

Lina Harispuru: Die Datenlage für Transportprozesse ist noch nicht ausreichend für eine automatisierte Steuerung und Durchführung von Transporten. Als letztes Glied in der Wertschöpfungskette benötigt der Transport die Daten der vorangegangenen Prozessschritte. Die vorhandenen Daten sind jedoch meist fehlerhaft, nicht vollständig oder fehlen gänzlich.

Als Beispiel möchte ich den Transportprozess im Stückgut betrachten: Im Stückgut zeigt sich die nicht ausreichende Bereitstellung der Daten zu Maßen der zu transportierenden Produkte seitens der Hersteller. Dies erschwert die Disposition und anschließende Planung der Beladung der LKW, wodurch diese Arbeitsschritte in weiten Teilen nicht automatisiert sind und teilweise sogar eine spontane Neuplanung der Beladung erfolgen muss. Eine Steigerung der Effizienz kann mithin nur erreicht werden, wenn die Datenlage für Transportprozesse insgesamt verbessert werden kann.

Wir verstehen unter Transportlogistik 4.0 daher die daten- und vernetzungsbasierte Unterstützung überbetrieblicher Transporte mittels digitaler Technologien zur transparenteren, agileren und effizienteren Steuerung, Organisation, Durchführung und Abwicklung.Folglich müssen die vorhandenen Daten besser ausgewertet und Wege geschaffen werden, weitere Prozessdaten den verschiedenen Akteuren zur Verfügung zu stellen. Hierzu ist es notwendig, digitale Technologien für die einzelnen Transportprozessschritte einzusetzen und eine Vernetzung aller Akteure weiter voranzutreiben.

Digitale Vernetzung

TIMOCOM: Welche Rolle spielt FreightTech bei der Vernetzung?

Lina Harispuru: FreightTech-Anwendungen werden die Wertschöpfungsketten weiter automatisieren und intelligenter gestalten. Die Bedeutung von Plattformen wird zunehmen. Diese spielen eine Schlüsselrolle bei der Vernetzung aller Player und werden zukünftig noch stärker die Kontrolle über den gesamten Prozess und das Zusammenspiel aller Akteure erlangen. Auch eine verstärkte Kooperation zwischen etablierten Playern und Start-ups ist zu beobachten. Als ein Beispiel ist die Kooperation zwischen DHL mit der US-Landverkehrsplattform Convoy zu nennen. In den letzten Jahren floss das Gros (ca. 90 %) der weltweiten Gelder für Logistik-Start-ups jedoch in die USA und asiatische Länder. In Europa wurden nur unter 10 % der Gelder investiert. Dennoch wurden auch in Europa vermehrt Start-ups im Bereich FreightTech gegründet, die Lösungen innerhalb von Wertschöpfungsketten anbieten.

TIMOCOM: Zu ähnlichen Ergebnissen sind wir in unserem Whitepaper über FreightTech auch gekommen. Was können denn andere von Start-ups im Bereich FreightTech lernen?

Lina Harispuru: Diese Logistik-Start-ups verfolgen datenbasierte Geschäftsmodelle und nutzen mit Hilfe von KI die Vielfalt an Daten, um entweder Zusatzangebote zu schaffen oder die Wertschöpfungsketten effizienter zu gestalten, insbesondere im Hinblick auf Kosten und Zeit. In diesem Zusammenhang entstehen viele interessante disruptive Ideen, die zeigen, dass ein Blick über den Tellerrand zu neuen Sichtweisen führt. Ein Alleinstellungsmerkmal werden jene Wertschöpfungsketten bzw. Ökosysteme erlangen, die vollständig automatisiert, vernetzt und intelligent gestaltet sind.

Daher gilt es, neben der hochautomatisierten und intelligenten Transportvergabe zwischen Versender und Dienstleister nun auch die weiteren Prozesse wie Planung und Ausführung des Transports und dessen vorgelagerte Prozesse zügig vollständig anzugehen. Die hier gegenwärtig noch vorhandene Lücke gilt es zu schließen. Dabei spielt KI eine wichtige Rolle.


TIMOCOM: Wie kann die Logistikbranche nun von Ihren Analysen profitieren?

Lina Harispuru: Zum einen durch unsere Forschung speziell zu KI in Transportlogistik und Kombiniertem Verkehr. Darüber hinaus ist uns bei der Fraunhofer-Arbeitsgruppe SCS der ganzheitliche Blick auf Unternehmen wichtig , z. B. auch die Frage nach (neuen) datengetriebenen Geschäftsmodellen: Also wie kann man verfügbare Daten nutzbar machen und daraus neue – datengetriebene – Lösungen und Services entwickeln. Letztlich haben die Forschungsergebnisse unserer verschiedenen Abteilungen Einfluss auf die Praxis. Denn der Vorteil ist, dass wir viele verschiedene Unternehmen sowie deren Arbeitsabläufe und -prozesse sehen und hinterfragen. Wir beschäftigen uns mit offensichtlichen und auch mit vielleicht zunächst noch versteckten Fragestellungen und entwickeln Lösungsansätze, die in bestehende Systeme eingebaut werden können.

Und schaut man auf die Zukunft: Im Hinblick auf den Transportprozess und die Logistikinfrastruktur wird das Thema Wasserstoff wichtig – und ein strategischer Treiber.

Zur Person

Lina Harispuru ist Senior Scientist in der Abteilung Analytics bei der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS. Als Branchenexpertin arbeitet sie mit Verbänden, Ministerien und Unternehmen zusammen. Das Ziel ist es zu zeigen, welche Anwendungsmöglichkeiten sich für Analytics im Transport bieten, welcher Mehrwert daraus generiert werden kann – und wie sich Transportprozesse und der Transportmarkt in Zukunft verändern werden. Vernetzen Sie sich mit ihr auf LinkedIn.

 

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