No-Deal-Brexit: Konsequenzen für die Logistik in Europa und Großbritannien
Welche Folgen hätte ein ungeregelter Austritt Großbritanniens für Transporte?
Es sind nur noch sechs Wochen: Auch wenn aktuelle Entwicklungen die Hoffnung auf einen Last-Minute-Deal schüren, ist ein Brexit ohne Abkommen nach wie vor noch nicht abgewendet. Dieser hätte für deutsche und europäische Exporte gravierende Auswirkungen. Was würde ein No-Deal-Brexit für die Logistikbranche bedeuten, wenn keine klare Lösung in Sicht ist?
Welche Auswirkungen drohen den Logistikunternehmen?
Bereits Anfang 2020 hat Großbritannien die EU offiziell verlassen, die politische Übergangszeit läuft nun Ende dieses Jahres aus. Bisher konnten sich britische Regierungsvertreter und EU-Diplomaten jedoch nicht auf einen Austrittsvertrag einigen. Ein effizienter Güterverkehr hängt jedoch stark von Sicherheit und Stabilität ab. Dennoch bleiben die Parameter, nach denen Fahrer und Spediteure ab Januar 2021 arbeiten, teilweise unklar.
Die momentane Unsicherheit über die Abläufe des Brexit erschwert die Planung in vielen Branchen. Für logistische Prozesse bestehen die Herausforderungen unter anderem im Bereich des Außenwirtschafts-, Zoll-, Umsatzsteuer-, Vertrags- und Versicherungsrechts. Sollte es tatsächlich zu einem No-Deal-Brexit kommen, wird der Handel mit Großbritannien zwangsläufig den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) folgen müssen. Sämtliche Waren und Personen müssten dann wieder an den Grenzen überprüft werden, was letztendlich zu Lieferengpässen und Verzögerungen führen wird. Logistik- und Schifffahrtsunternehmen, die aus der EU nach Großbritannien ein- oder ausreisen, müssten zudem über Genehmigungen und neue Anforderungen von Unterlagen für Spediteure informiert werden und diesen nachkommen. Ein enormer Mehraufwand für die rund 17.000 LKW, die täglich die Strecke zwischen Calais (Frankreich) und Dover (Großbritannien) nutzen.
Laut einer Studie des Imperial College London könnten nur zwei Minuten Zeitverlust pro LKW bis zu 47 Kilometer Stau verursachen. Allein den Hafen von Dover nutzen jeden Tag mehr als 10.000 LKW. Bisher müssen davon nur rund vier Prozent durch den Zoll. Strengere Zollprozesse würden hier zu Verzögerungen und zusätzlichen Kosten führen: Ein Worst-Case-Szenario der britischen Regierung prognostiziert Warteschlangen von bis zu 7.000 Lastkraftwagen an der Grenze zu Kent. Die Regierung hat daher bereits damit begonnen, Zollbeamte vor allem auf den wachsenden bürokratischen Ansturm vorzubereiten.
Das ändert sich für Kraftfahrer aus der EU
Im Laufe der COVID-19-Pandemie hat die britische Regierung bereits Pläne zur Einführung vollständiger Grenzkontrollen ab dem 1. Januar entwickelt. Zudem wurde die „Operation Brock“ wiederbelebt: Eine 25 Kilometer lange Autobahnstrecke in Kent wird für LKW-Fahrer reserviert, falls es zu einem Brexit ohne Deal kommt. Eine bewegliche Betonbarriere kann dort relativ schnell eingesetzt werden, um Warteschlangen und Verzögerungen am Kanal zu reduzieren.
Die Regierung hat zudem verschiedene Online-Systeme implementiert, die ab 1. Januar 2021 verpflichtend werden. LKW-Fahrer mit mehr als 7,5 Tonnen Fracht müssen bspw. zunächst ein Online-Formular ausfüllen, um eine sogenannte "Kent Access Permit" (Zugangserlaubnis) zu erwerben. Hierdurch soll bereits im Vorfeld sichergestellt werden, dass alle nötigen Voraussetzungen für die Einreise bzw. den Import erfüllt sind. LKW ohne entsprechendes Permit werden fortan mit einer Strafe von 325 Euro belegt und müssen zudem auf provisorischen Parkplätzen warten, bis die neuen Dokumente vorliegen. Die britische Regierung stellt in einem aktualisierten Plan zum künftigen Grenzmanagement darüber hinaus klar, dass alle EU-Bürger ab Oktober 2021 für die Einreise ins Vereinigte Königreich einen Reisepass benötigen. Das gilt natürlich auch für sämtliche Frachtenführer aus dem europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz. Ein Personalausweis wird ab diesem Zeitpunkt nicht mehr ausreichen.
Immer auf dem neusten Stand
Da es aktuell immer noch Adaptionen und Veränderungen der Gesetzeslagen gibt, hat die britische Regierung ein explizites Handbuch für Frachtenführer entwickelt, das seit dem 18.11.2020 zur Einsicht bereitgestellt wurde. Wir empfehlen allen TIMOCOM Kunden mit Aufträgen von und nach UK, dieses regelmäßig zu prüfen.
Aktuelle Auszüge des Handbuchs:
- Gemeinschaftslizenz: EU-Betreiber müssen von ihrem eigenen Niederlassungsland lizenziert sein und eine Kopie einer Gemeinschaftslizenz mit sich führen.
- Kabotage: EU-Betreiber können derzeit weiterhin Kabotage in Großbritannien durchführen.
- Fahrer- und Fahrzeugdokumentation: EU-Betreiber, die Geschäfte nach, von oder durch Großbritannien tätigen, müssen einen Kfz-Versicherungsnachweis für ihr Fahrzeug und ihren Anhänger vorlegen.
Seit dem 2. November 2020 gibt es zudem 45 Beratungsstellen an britischen Autobahnrastplätzen sowie diversen Grenzübergängen. Diese sollen Kraftfahrer über sämtliche Änderungen und künftig notwendige Dokumente in verschiedenen Sprachen informieren.
Ab Januar 2021 wird die Logistik in Europa und Großbritannien komplizierter als je zuvor, denn es wird langsam deutlich, dass ein No-Deal-Brexit sehr wahrscheinlich ist. Die IHK hat vorsorglich eine Website ins Leben gerufen, auf der alle kommenden Änderungen für Transportunternehmen und Frachtführer zusammengefasst sind. Wir empfehlen TIMOCOM Kunden auch diese regelmäßig zu prüfen.
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